Kalter Krieg

Der Kalte Krieg bildete seit den ausgehenden 1940er-Jahren für Jahrzehnte den gesellschaftlichen Erfahrungs- und politischen Handlungsraum, nicht nur in Deutschland, sondern in nahezu allen Teilen der Welt. Die Angst vor dem Atomkrieg war weltumspannend und mehr als einhundert Stellvertreterkriege der Großmächte außerhalb Europas haben Millionen Menschen das Leben gekostet. Die Wissenschaft hat das Thema „Kalter Krieg“ seit etlichen Jahren entdeckt. Es liegen einige brauchbare Überblicksdarstellungen sowie Detailstudien vor; außerdem finden regelmäßig Fachtagungen zu dem gesamten Themenkomplex statt, und Berlin möchte ein Museum des Kalten Krieges errichten.

Der Kalte Krieg hat auch mannigfache bauliche Spuren hinterlassen, denen verstärkt nachgespürt wird. Archäologische Relikte bilden aber lediglich einen Aspekt des Kalten Krieges ab. So wichtig es auch ist, diese Hinterlassenschaften in den Blick zu rücken, so wenig sind sie in der Lage, ein umfassendes Verständnis dafür zu wecken, wie weitreichend die west-östliche Blockkonfrontation das gesellschaftliche Umfeld jedes Einzelnen geprägt und überformt hat.

Erinnerungen an bedeutende geschichtliche Abschnitte manifestieren sich zumeist in Bildern, die ikonografischen Charakter annehmen können. Auch vom Kalten Krieg in Deutschland gibt es diese Bilder: die „Rosinenbomber“, die die von der Sowjetunion verordnete Berlin-Blockade brechen; der NVA-Soldat, der mit umgehängtem Gewehr über die noch im Bau befindliche Grenzanlage springt; amerikanische und russische Panzer, die sich am Checkpoint Charlie gegenüberstehen.

Wollte man ihnen allein vertrauen, dann ließe sich daraus ableiten, dass sich der Kalte Krieg vorwiegend aus hochdramatischen Momenten zusammengesetzt hat und dass er vor allen anderen Orten in der „Frontstadt“ Berlin stattfand. Diese Sichtweise würde jedoch ebenso in die Irre führen wie die Vorstellung, die Geschichte des Kalten Krieges ließe sich in wesentlichen Zügen allein aus archäologischen Relikten rekonstruieren.

Beides würde allein schon deshalb ein schiefes Bild liefern, weil der Kalte Krieg nicht nur als militärischer Konflikt ausgetragen wurde, sondern ganz wesentlich auch ein „Kampf um die Köpfe“ war, um Begriffe und um Deutungshoheiten. Er fand zudem dezentral statt und hinterließ nur in seltenen Fällen markante bauliche Relikte, prägte und formte gleichwohl aber mentale, institutionelle und kulturelle „Landschaften“.

Das Rheinland – und das ist eigentlich erstaunlich – wurde unter diesem Gesichtspunkt bislang noch kaum in den Blick genommen. Zwar mag es zur Bereicherung durch ikonografische Bildzeugnisse erheblich weniger beigetragen haben als Berlin; fragt man allerdings danach, wo wesentliche politische Entscheidungen getroffen wurden, die die Ost-West-Koordinaten bestimmten, oder wo der „Kampf um die Köpfe“ organisiert wurde, dann wird man an Bonn oder Köln oder auch an anderen Städten entlang der Rheinschiene kaum vorbeikommen. Fünf Beispiele mögen das unterstreichen.

Historisches Foto: Mehlemer Aue bei Bonn

Beispiel 1: Die Mehlemer Aue bei Bonn

Ab November 1951 stand dem US-Hochkommissar (HICOG) als ziviler Nachfolgebehörde der US-Militärverwaltung (OMGUS) ein großflächiger Gebäudekomplex in Bonn-Mehlem als Dienstsitz zur Verfügung. Ab 1955 residierte in dem Gebäudekomplex der US-Botschafter. HICOG finanzierte über seine Unterabteilungen zahlreiche Publikationen, die sich kritisch mit der DDR und dem politischen System der Sowjetunion auseinandersetzten. In den Räumlichkeiten von HICOG wurde durch Bargeldübergaben auch der Druck sogenannter Tarnschriften ermöglicht, die in die DDR geschmuggelt wurden.

Historisches Foto: US-Siedlung bei Bonn-Plittersdorf

Beispiel 2: Die US-Siedlung bei Bonn-Plittersdorf

Für die US-amerikanischen Angestellten von HICOG wurde eigens eine Siedlung errichtet, die die Kulturlandschaft am Rhein bei Plittersdorf nachhaltig veränderte. Im Vorfeld des Baus waren zahlreiche Bedenken vorgetragen worden. Den Interessen der Gemeinde kam die Besatzungsbehörde insofern entgegen, als die Errichtung von Hochhäusern ausgeschlossen wurde.

Historisches Foto: Verlagsvilla von Kiepenheuer & Witsch in Köln-Marienburg

Beispiel 3: Die Verlagsvilla von Kiepenheuer & Witsch in Köln-Marienburg

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch zählte in der frühen Bundesrepublik zu den wichtigsten „Agenturen des Kalten Krieges“ (Ernst Nolte). Die Publizistin und politische Lektorin des Verlags, Carola Stern, schreibt dazu rückblickend: „Bereits Anfang der fünfziger Jahre wurde das Dachgeschoß des neuerworbenen Verlagshauses in Köln-Marienburg […] zu einer Art Asyl ehemaliger kommunistischer Funktionäre. Seit 1952 gab es das SBZ-Archiv (vormals PZ-Archiv), das Joseph Caspar Witsch herausgab […]. Und da Kenntnis des Machtapparats im anderen Teile Deutschlands weit mehr gefragt war als journalistische Erfahrung, verdienten sich Flüchtlinge, die solche Kenntnisse besaßen, hier oft ihr erstes Westgeld mit Artikelschreiben. ‚Der Genosse’, wie man ihn im ganzen Hause nannte, Wolfgang Leonhard, […] und Ilse Spittmann, wie Leonhard von Ostberlin nach Jugoslawien geflüchtet […], fanden hier eine Arbeitsmöglichkeit, später auch Jürgen Rühle […], noch ein paar Jahre später auch ich selbst. […] Für ‚die Genossen’ war die Verlagsanstellung, wenn nicht der Strohhalm für den Ertrinkenden, so doch ein Ausweg aus der Existenznot, die Möglichkeit, etwas zu tun, wovon sie viel verstanden. (Carola Stern, Politik im Dachgeschoß, in: Kiepenheuer & Witsch 1949-1974, Köln 1974, S. 50-52).

Historisches Foto: Stadtwaldgürtel 42 in Köln-Lindenthal

Beispiel 4: Der Stadtwaldgürtel 42 in Köln-Lindenthal

Die SED hatte früh mit der Entwicklung eines umfassenden Schulungsapparates für ihre Mitglieder begonnen und diesen im Sommer 1950 mit der Einführung eines Parteilehrjahres auf eine denkbar breite Basis gestellt. Ergänzt wurden diese Aktivitäten noch um weitere staatspolitische Unterrichtungen und um Schulungen der Massenorganisationen. Um den Rückstand an Wissen und Rhetorik aufzuholen, wurde in der Bundesrepublik 1957 das Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst gegründet. Es sollte Rednerschulungen anbieten und die Schulungsteilnehmer zur Auseinandersetzung mit der Westarbeit der SED befähigen, um sowohl die aktuellen politischen Thesen der SED als auch die wichtigsten grundsätzlichen stalinistischen Lehren zu widerlegen. Das Ostkolleg wurde der Bundeszentrale für Heimatdienst und damit dem Bundesinnenministerium unterstellt. Es wurde am 22. November 1957 am Stadtwaldgürtel 42 in Köln-Lindenthal durch den damaligen Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) eröffnet.

Foto: Haus Goltsteinstraße 185 in Köln-Bayenthal

Beispiel 5: Die Goltsteinstraße 185 in Köln-Bayenthal

1950 fand in West-Berlin der Kongress für kulturelle Freiheit statt, maßgeblich organisiert von dem US-amerikanischen Publizisten und Herausgeber der Zeitschrift „Der Monat“ Melvin Lasky. In den folgenden Jahren entwickelte sich der Kongress unter der Leitung des CIA-Agenten Michael Josselson und seines Stellvertreters John C. Hunt mit Filialen in zahlreichen Ländern zur bedeutendsten Agentur des Kalten Krieges der westlichen Hemisphäre. Das wichtigste Büro des Kongresses in der Bundesrepublik befand sich in Köln in der Goltsteinstraße 185. Dem Kölner Büro gehörten u. a. an: Heinrich Böll, Klaus Harpprecht, Berend von Nottbeck, J. C. Witsch, Hans Schmitt-Rost (Städtisches Verkehrsamt), Hans-Otto Wesemann (WDR), Carl Linfert (WDR), Bernd Tönnessen (Bundesverband der Deutschen Industrie), Gerd Ruge (Kongress für die Freiheit der Kultur, Berlin), Georg Meistermann (Akademie für Bildende Kunst, Düsseldorf) sowie die Schriftstellerin Kyra Stromberg. Die Kölner Gruppe organisierte mehr als 35 Veranstaltungen und leistete praktische Solidaritätsarbeit für Intellektuelle, die in der DDR verfolgt wurden. Aus ihrem Kontext ging auch die deutsche Sektion von Amnesty International hervor.

Solche Orte – und die fünf genannten stehen nur beispielhaft für dutzend weitere – in einem überschaubaren geografischen Raum vorzustellen und zu einer „Topografie des Kalten Krieges im Rheinland“ zu verdichten, kann lohnenswert sein. Nur wenige Forschungen zum Kalten Krieg verfolgen bislang einen solchen räumlich-geografischenen Ansatz.

Meine eigene Beschäftigung mit dem Thema „Kalter Krieg“ setzte um 2007 ein. Die Erforschung der Lebensgeschichte des Verlegers Joseph Caspar Witschs (vgl. eigenen Schwerpunkt) bot dazu einen guten Einstieg, weil Witsch sowohl mit zahlreichen privaten Organisationen des Kalten Krieges als auch mit einigen Bonner Ministerien und US-amerikanischen Dienststellen gut vernetzt war. Erstes Nebenresultat der damaligen Erkundungen war 2009 die Produktion einer vierteiligen Gesprächsreihe mit Zeithistorikern zur „Kultur des Kalten Krieges“. Sie lief auf dem Sendeplatz „Essay und Diskurs“ (jeweils sonntags 9.30-10.00 Uhr) des Deutschlandfunks. Die hier nachzuhörenden Sendungen im Einzelnen:

Gespräch 1 mit Bernd Stöver vom 20.9.2009: „Der Kalte Krieg – Stationen eines radikalen Zeitalters“,

Gespräch 2 mit Michael Hochgeschwender vom 27.9.2009: „Der Kongress für kulturelle Freiheit und ‚Der Monat’“,

Gespräch 3 mit Stefan Creuzberger vom 4.10.2009: „Das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen“,

Gespräch 4 mit Jens Hüttmann vom 11.10.2009: „Forschung im Dienst des Kalten Krieges“.

Im Jahr darauf produzierte ich die Sendung „’Der Westen ist stärker!’ Joseph Caspar Witsch – Verleger und Netzwerker des Kalten Krieges“ ebenfalls für den Deutschlandfunk. Sie wurde am 7. Mai 2010 von 20.10-21.00 Uhr ausgestrahlt.

Vom 3.-5. November 2011 fand in Königswinter die Tagung „Antikommunismus in der frühen Bundesrepublik Deutschland. Zur politischen Kultur im Kalten Krieg“ statt, ausgerichtet vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ München), dem Lehrstuhl für Neuere Geschichte des Historischen Instituts der Universität Potsdam und der Bundeszentrale für politische Bildung. Ich war dazu als Referent geladen und sprach über „Joseph Caspar Witsch. Verleger und Netzwerker im Dienst des Antikommunismus“. Die Tagungsbeiträge wurden 2014 in einem Sammelband veröffentlicht: Stefan Creuzberger / Dierk Hoffmann (Hrsg.), „Geistige Gefahr“ und „Immunisierung der Gesellschaft“. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, München: De Gruyter/Oldenbourg 2014. Hier geht es zur Inhaltsübersicht des Bandes.

Zwei Jahre nach der Bonner Tagung beschäftigte ich mich mit dem Thema „Zivilschutz in der Bundesrepublik und in der DDR“. Für den Deutschlandfunk entstand daraus die Sendung „Aktentasche und Atomblitz. Zivilschutz im Schatten des Kalten Krieges“. Sie wurde am 19. April 2013 von 20.10-21.00 Uhr ausgestrahlt.

2018 habe ich meine Arbeiten an einer „Topografie des Kalten Krieges im Rheinland“ wieder aufgenommen. Eine knappe Zusammenschau verschiedener Aspekte des Themas stellte ich in Form einer „Spurensuche“ am 9. März 2018 auf Einladung des Brauweiler Kreises auf dessen Jahrestagung vor. Eine erweiterte Fassung des Vortrags erschien in der Zeitschrift „Geschichte im Westen“ 33/2018 unter dem Titel „Zur Topografie des Kalten Krieges im Rheinland. Spurensuche in einer Parallelwelt“.

Anschließend legte ich das Thema ‚auf Eis‘. Ob ich es eines Tages erneut aufgreifen und in eine Publikation münden lassen werde – wer weiß?