Zukunftsprojekt „Westwall“


Der von den Nationalsozialisten so genannte „Westwall“ erstreckt sich über 630 Km von Kleve bis nach Basel. Ich habe 2003 begonnen, mich mit seiner Geschichte, seinen Überresten und seiner touristischen Inwertsetzung zu beschäftigen. Am 3. Dezember 2004 entstand daraus als erstes Ergebnis die 45-minütige Sendung „Steine des Anstoßes. Hitlers Westwall – Ein Museumsstück?“ für den Deutschlandfunk. Sie können sie hier hören.

Bei der Recherche zu der Sendung war mir aufgefallen, dass die privat betriebenen „Westwallmuseen“ nicht nur fragwürdige Darstellungen des Kriegsgeschehens und der Wehrmacht darboten, sondern dass sich diese Form „wilden Erinnerns“ auch abseits der Wahrnehmung von Wissenschaft und politischer Bildung vollzog. Interventionen, u. a. beim Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, blieben zunächst folgenlos. Stattdessen lud mich der Leiter des Lehrstuhls für Geographie/Geowissenschaften der Universität Trier, Ingo Eberle, 2005 überraschend zu einem Westwall-Symposium ein, das unter dem Titel „FORTIS 2005“ stattfand. Ich sollte dort die abschließende Podiumsdiskussion leiten. Die Veranstaltung war nicht nur in meinen Augen ein Skandal. Bot sie doch unter dem Dach einer Hochschule zahlreichen Protagonisten aus der Szene der sogenannten Festungsforscher ein breites Forum und wertete sie auf diese Art als gleichberechtigte Partner der Wissenschaft auf, statt ihre in Teilen rechtsgerichteten Publikationen und Inszenierungen kritisch zu hinterfragen. Die Trierer Hochschule ging schweigend über diese prekäre Partnerschaft eines ihrer Institute hinweg.

Foto: Gesprengter "Westwall"-Bunker bei Aachen
Gesprengter „Westwall“-Bunker bei Aachen

Die nächste Einladung erhielt ich vom Landesverband Nordrhein-Westfalen des BUND. Der LV NRW war bemüht, an die Erfolge des „Grünen Bandes“ anzuknüpfen, also an jenes Projekt entlang der innerdeutschen Grenze, das vom bayerischen Landesverband des BUND angestoßen worden war und eine Unterschutzstellung des ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifens als Biotopverbund anstrebte. Die Nordrhein-Westfalen hatten im November 2004 kurzerhand den „Grünen Wall im Westen“ ausgerufen. Leider war das ohne jegliche zeithistorische Expertise geschehen, was mitunter zu peinlichen Einschätzungen und Formulierungen führte. Zusammen mit Joachim Weiner (Gesellschaft für interdisziplinäre Praxis e. V.) nahm ich an der Veranstaltung des BUND teil, die am 10. Juni 2005 in Düsseldorf stattfand. Wir verfassten zu dem Zweck eine Stellungnahme zu zeitgeschichtlichen und regionalpolitischen Aspekten der „Westwall“-Erschließung, die der BUND später in einer Tagungsbroschüre ( S. 21-23) abdruckte.

Foto: Panzersperre des Westwalls mit umgestürztem Baum
Natur und Beton: ehemals überwachsene Panzersperre und Wurzelteller eines umgestürzten Baums bei Simmerath

Erst zehn Jahre nach der Tagung des BUND sollte eine Publikation erscheinen, die sich explizit des Themas „Westwall“ und Naturschutz im Nationalsozialismus annahm: „Der Westwall in der Landschaft. Aktivitäten des Naturschutzes in der Zeit des Nationalsozialismus und seine Akteure“, verfasst von Nils Franke. Sie entstand nicht zuletzt als Reaktion auf die zeithistorischen Defizite des BUND-Projekts.

Für mich waren die Erfahrungen mit der Trierer Hochschule und schließlich auch mit dem BUND-Landesverband von NRW Anlass genug, über eine Tagung ganz anderer Art nachzudenken. Deutlich geworden war, dass notwendige Klärungsprozesse ohne zeithistorisches Fachwissen und interdisziplinäre Zusammenarbeit kaum zu einem seriösen Umgang mit den „Westwall“ruinen und ihrer Geschichte führen würden. Es ging also darum, Wissenschaft, politische Bildung, Denkmalpflege und Naturschutz erstmals gemeinsam zum Thema „Westwall“ zusammenzubringen. Auf der Grundlage einer ersten im April 2005 entwickelten Ideenskizze gelang es mir, den Arbeitskreis für historische Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa e. V. (ARKUM) als Ausrichter zu gewinnen und den Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW e. V., die Konejung Stiftung: Kultur sowie die Rheinische Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland (LVR) mit ins Boot zu holen; die Landeszentrale für politische Bildung NRW und das Ministerium für Bauen und Verkehr NRW steuerten einen Teil der Finanzierung bei. Die anvisierte Tagung fand am 3. und 4. Mai 2007 in Bonn statt.

Diese Fachtagung war insofern bemerkenswert, als dort überhaupt zum ersten Mal Denkmalpfleger aus verschiedenen Bundesländern zusammenkamen, für die der „Westwall“ eigentlich längst ein gemeinsames Thema hätte sein sollen. Auch Vertreter der Landeszentralen für politische Bildung waren aus mehreren Bundesländern angereist. Unter den mehr als 130 Teilnehmenden befanden sich außerdem Vertreter der „Festungsforscher“-Szene, was für lebhafte Diskussionen sorgte. Detaillierte Tagungsberichte verfassten anschließend u. a. Stefan Wunsch für die Zeitschrift „Geschichte in Köln“ sowie Franziska Bedorf und Daniel Holder für H-Soz-Kult.

Im Folgejahr erschien mit Unterstützung des LVR ein von Karola Fings und mir herausgegebener Tagungsband, den der Landschaftsverband Rheinland in seine Schriftenreihe „Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland“ aufnahm. Der Band hat bis heute an Aktualität nichts eingebüßt. Inhaltsverzeichnis und Einleitung finden Sie hier.

Buchtitel: Zukunftsprojekt Westwall

Karola Fings / Frank Möller (Hrsg.), Zukunftsprojekt Westwall. Wege zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage, Weilerswist 2008, 128 S. m. zahlr. Abb., ISBN 978-3-941037-05-2

Tagung und Tagungsband hatten zahlreiche Hinweise darauf gegeben, wie ein verantwortungsbewusster Umgang mit den „Westwall“-Relikten würde aussehen können. Die Tagung hatte damit ihre Funktion als Impulsgeber erfüllt. Die Verantwortung für weiteres Handeln lag und liegt jetzt bei Institutionen vor allem auf Landes- und kommunaler Ebene. Aus dem Kreis der Veranstalter bzw. der Referentinnen und Referenten der Bonner Tagung wurde die Beschäftigung mit dem „Westwall“ auch nach 2006 weiter vorangetrieben.

Von Karola Fings (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln) sind mir beispielsweise drei Beiträge geläufig, die nach der Tagung entstanden: Der Aufsatz „Im Westen nichts Neues? Ein kritischer Seitenblick auf Literatur zum Westwall“ erschien in der Zeitschrift „Geschichte in Köln“ 53 (2007), S. 262-270. Der zweite Aufsatz „Zum Stand der wissenschaftlichen Bewertung des Westwalls“ erschien in der Publikation „Der Westwall in der Eifelregion. Aktuelle Nutzungen, touristische Potentiale und Möglichkeiten einer Vermarktung“, hrsg. v. Projekt 2508 Kultur- und Tourismusmarketing GmbH, Bonn 2008. In erweiterter Form ist er auch zu finden als „Erinnerungskultur entlang des Westwalls. Das Problem affirmativer Praktiken und der Sonderfall Hürtgenwald“ in: Geschichte im Westen 27 (2012), S. 25-52.

Die weitere Beschäftigung löste sich ein Stück weit von den baulichen Manifestationen des „Westwalls“ und dem eindimensionalen Blick auf die deutsche Geschichte. Am 12. und 13. März 2009 fand in Aachen das englischsprachige Symposium „The Experience of War in a Border Region: Belgium, Luxemburg, the Netherlands and Germany 1914-1945“ statt. Die Veranstaltung richtete sich an einen überschaubaren Kreis von Spezialisten. Sie wurde vom Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte der RWTH Aachen, der Konejung Stiftung: Kultur, dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln sowie – vertreten durch mich – von der Gesellschaft für Interdisziplinäre Praxis e. V. ausgerichtet; alles Institutionen, die sich bereits bei der Bonner Tagung als Veranstalter zusammengefunden oder Referentinnen und Referenten dorthin entsandt hatten. Das Symposium kreiste um Fragen, wie die Kriege des 20. Jahrhunderts das westliche Grenzgebiet Europas – also entlang des „Westwalls“ – verändert hatten: sozial, kulturell, ökonomisch und landschaftlich. Es ging insbesondere auch darum, wie die Bewohnerinnen und Bewohner der Grenzgebiete heute, in einem vereinigten Europa, mit den eigenen Erinnerungen und denen ihrer Nachbarn umgehen. Über die Tagung berichtete Patrick Hahne für H-Soz-Kult. Die Aachener Kollegen brachten die Tagungsbeiträge später zudem in einer eigenen Publikation heraus: „Kriegserfahrung im Grenzland. Perspektiven auf das 20. Jahrhundert zwischen Maas und Rhein“, hrsg. v. Christoph Rass u. Peter M. Quadflieg, Aachen 2014. Das Inhaltsverzeichnis des Bandes finden Sie hier.

Foto: Als Wehrmachtsoldaten verkleidete Puppen im Hürtgenwald-"Museum"
Trivialisierung des Kriegsgeschehens: das Hürtgenwald-„Museum“ als Puppenstube

2009, im selben Jahr, in dem das Aachener Symposium stattfand, gab es noch eine weitere Weichenstellung. Während der Bonner Tagung des Jahres 2006 war von den Militariasammlern entlang des „Westwalls“ gegenüber Wissenschaft und politischer Bildung der Vorwurf erhoben worden, sich viel zu spät für den „Westwall“ interessiert zu haben. Und statt die „Museums“betreiber zu unterstützen, kritisiere man sie nur, mache aber keine konkreten Vorschläge zur Verbesserung der „Museen“. Der Vorwurf richtete sich vor allem gegen Karola Fings und mich. Wie weit damit eine ernst gemeinte Kooperationsaufforderung verbunden war oder ob es sich lediglich um ein Abwehrargument handelte, um ohne störende Kritik weitermachen zu können wie bisher, blieb zunächst offen – jedenfalls bis 2009. In diesem Jahr begann die Kooperation des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln (Karola Fings) und der RWTH Aachen (Peter M. Quadflieg) mit den Betreibern eines der umstrittenen „Museen“: dem „Museum Hürtgenwald 1944 und im Frieden“ in Vossenack (Nordeifel). Im Jahr darauf legten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine umfangreiche Dokumentation über das „Museum“ vor, die in zahlreiche Empfehlungen mündete, verbunden mit weiteren Kooperationsangeboten. Über den weiteren Verlauf der Entwicklung erfahren Sie mehr, wenn Sie innerhalb des Schwerpunkts „Erinnerungspolitische Konflikte“ den Unterpunkt „Hürtgenwald“ aufsuchen.

Zur Frage der Reformbereitschaft der Militariasammler und der Anziehungskraft ihrer Einrichtungen auf Rechtsextreme gibt es darüber hinaus noch eine bemerkenswerte Rundfunksendung. Es kommt selten vor, dass Medien einen langen Atem haben, Entwicklungen über größere Zeiträume zu verfolgen. Eine der glücklichen Ausnahmen bildet eine Sendung der Landeskorrespondentin des Deutschlandfunks Anke Petermann. Frau Petermann hatte im März 2005 die Sendung „Der Westwall wird geschleift? Die Historie einer Landschaft“ produziert. Darin kamen verschiedene „Museums“betreiber zu Wort. Gut zehn Jahre später wollte die Korrespondentin wissen, was sich in der „Museums“landschaft entlang des „Westwalls“ verändert hatte und ob die inzwischen in der ZEIT geäußerten Vorwürfe berechtigt waren, dass sich die „Museen“ zu Anlaufstellen für Rechtsextreme und ewig Gestrige entwickeln würden. Frau Petermanns Reportage „Der Nazi-Westwall. Wildkatzen und Militärmuseen“, die Deutschlandfunk Kultur am 29.9.2016 sendete, ist in beiderlei Hinsicht überaus aufschlussreich.

Foto: Panzersperren als Fundament für einen Schuppen
Pragmatischer Umgang mit dem baulichen Erbe in der Eifel: Panzersperren als Fundament

Vorerst letzter Punkt: Für den 17.-18. Februar 2016 lud mich die private Hochschule Geisenheim als Referent zu einer Tagung nach Mainz ein. Thema: „Naturschutz an NS-Großanlagen. Das Beispiel ehemaliger Westwall in Rheinland-Pfalz“. Rheinland-Pfalz spielt im Kontext „Westwall“ insofern eine interessante Rolle, als das Land zum 1. Oktober 2014 gemäß einer mit dem Bund abgeschlossenen Vereinbarung das Eigentum an den im Land noch vorhandenen Anlagen des ehemaligen „Westwalls“ und damit auch die Verkehrssicherungspflicht vom Bund übernommen hat. Eigentum und Sicherungspflicht wurden vom Land auf eine Stiftung des öffentlichen Rechts „Grüner Wall im Westen – Mahnmal ehemaliger Westwall“ übertragen. Der Name der Stiftung ist problematisch: Zum einen sind die ehemaligen Westwall-Anlagen nicht per se ein „Mahnmal“; zum anderen knüpft die Bezeichnung „Grüner Wall im Westen“ an das Projekt des BUND an, das an sich hinterfragenswert ist. Man wird sehen, was Rheinland-Pfalz bzw. seine (bis dato unterkapitalisierte) Stiftung in den kommenden Jahren in Sachen „Westwall“ und „Westwall-Museen“ auf den Weg bringt.

In jedem Fall wird es dabei notwendig werden, auch mit den Betreibern der Militaria-Sammlungen in einzelnen „Westwall“-Anlagen den Dialog zu suchen. Da ich im Rahmen des „Moratoriums Hürtgenwald“ ausgiebig Gelegenheit gehabt hatte, mit einer entsprechenden Klientel den Austausch  zu pflegen, spitzte ich mein Referat „Schlachtfeld zwischen Bäumen“ auf die Aushandlungsprozesse um den Umgang mit zeithistorischen Kriegsobjekten und -landschaften in sechs Thesen zu. Sie sorgten für erhebliche Diskussionen.